Zhan Zhuang - Das "Stehen wie ein Baum"
Manchem erscheint es als die lästigste und unbequemste aller Vorübungen, die wir im Taijiquan-Training regelmäßig praktizieren - das Zhan Zhuang-Stehen. Es ist auch nicht gerade die exotische Übung, die man seinen Freunden vormachen kann und "fernöstlich" schaut diese Stellung nun wirklich nicht aus. Und das "Schlimmste" ist - ähnlich wie in der Zen-Meditation - dass es nichts anderes zu tun gibt als Loslassen....
Zhan Zhuang ist eben hierdurch eine enorme
Herausforderung für den ernsthaft Lernenden und erst recht, wenn man
"die" Übung für stabilen Stand, Verwurzelung und peng jing, eine der
Essenzen (jing) der Kampfkunstfähigkeiten, sucht. Denn das ist Zhan
Zhuang und dazu eine Übung, die keinerlei Aufwand, Raum und "Abspeichern
von Bewegungssequenzen" erfordert.Hat man erst die anfänglichen Hürden
inneren Widerstandes überwunden und übt regelmäßig das Stehen, so
beginnt man alsbald erste Früchte zu ernten und entdeckt, daß diese
Übung tatsächlich entspannend und wohltuend sein kann, wenn man
bestimmte Grundsätze beachtet:
- Stellung
Die Beine sind gebeugt, die Wirbelsäule aufrecht, alle Gelenke entspannt und alles ist "rund". Die Zunge liegt am Gaumen an, die Arme stehen in einer Position als hielte man einen großen Ball vor der Brust (zumindest in den anfänglichen Übungen).
- Atmung
Der Atem wird mit dem Ausatmen tief in den Bauch hinab geschickt wodurch das Qi zum Dantian sinken kann. Achtet man jedoch nicht auf eine entspannte Haltung von Brust und Oberkörper so stagniert der Atem dort und die Energie steigt eher in den Kopfbereich.
Hilfreich ist auch hier die verstärkte Imagination der Tatsache, daß der Rücken yang, die Vorderseite yin ist. Wie bei allen "inneren" Künsten hilft hier kein "powern" sondern das gesunde Maß, mit welchem viele Schwierigkeiten haben. Oft beobachte ich bei meinen Schülern die jeweiligen Extreme: Entweder gehen sie bis an die Grenze, d.h. beispielsweise so tief stehen und so lange aushalten wie möglich, oder aber das Gegenteil, man macht alles so "ein bisschen". Beide Extreme schädigen auf Dauer, die Mitte jedoch ist gesund und sollte kontinuierlich angestrebt werden, womit wir bei einem weiteren wesentlichen Faktor wären:
- Kontinuität
Zhan Zhuang erfordert, wie alle anderen Künste auch, regelmäßiges Üben. Man sollte vielleicht als Europäer nicht mit dem alten chinesischen Standard von 30 Minuten beginnen, doch wären tägliche 5 Minuten ein Mindestmaß, wenn man gutes Verwurzeln erreichen will. Nach etwa 10 Tagen lassen die anfänglichen "Bleibeine" merklich nach und stattdessen setzt eine innere entspannte Stille ein. Alle 3-4 Wochen vermag man dann die Dauer der Übungen um weitere 5 Minuten zu verlängern und erst wenn man rd. 20 Minuten entspannt in der o.g. Grundposition stehen kann wechselt man zu fortgeschritteneren Positionen.
Die Geschichte des Zhan Zhuang
Wenngleich das
Zhan Zhuang heute als eigenständige Qigong-Schule unterrichtet wird so
war es früher eher Bestandteil des inneren Trainings. Auch in den
Shaolin-Stilen übt man das Stehen in den einzelnen Positionen, doch eher
als Weigong-Übung. Verfolgt man einmal genauer die Geschichte des Zhan
Zhuang als Neigong-Übung, so gelangt man zum Xingyiquan, einem weiteren
inneren Stil, denn die heutigen großen Vertreter des Zhan Zhuang, Lam
Kam Chuen, Wang Xuanjie und Yao Chengguang, kommen alle aus der
Xingyi-Linie, die auf den bedeutenden Altmeister Wang Xiangzhai
zurückgeht.
- Wang Xiangzhai
Wang Xiangzhai (1885-1963) begann mit 14
Jahren das Xingyi-Training unter seinem Meister Guo Yunshen, der ihn
später zu seinem Nachfolger ernannte. Wang mag Pate gestanden haben für
die Hauptfigur des Kungfu-Films "Die Faust des Meisters" und auch "Die
Todesfaust des Cheng Li" mit Bruce Lee erinnert an Wang Xiangzhai.
Während der japanischen Besetzung forderte Wang öffentlich in der
Zeitung alle japanischen Kampfkünstler und andere "Besatzer" zu einem
Vergleich heraus, nicht zuletzt um das angegriffene Selbstbewußtsein
seiner Landsleute zu stärken. Alle diese hieraus resultierenden Kämpfe
sind Geschichten geworden, die man immer wieder erzählt und keiner der
Gegner vermochte Wang auch nur ein Haar zu krümmen. Manche wurden auch
seine Schüler wie z.B. Kenichi Sawai. Sawai Sensei, hochgraduierter
Meister des Karate, Iaido, Kendo und 5. Dan Judo weilte in Beijing, als
er von Wang hörte und forderte Wang u.a. zu einem Schwertvergleich
heraus. Sawai griff mit erhobenem Schwert an und Wang parierte mit einer
winzigen Drehung. Als beide Schwerter sich streiften, wurde Sawai
mehrere Meter weit fortgeschleudert und seine Hände waren eine zeitlang
taub. Ein andermal berührten sich die Klingen und Sawai versuchte sein
Schwert zurückzuziehen, doch die Schwerter schienen wie festgeklebt, bis
Wang ihn mit einer Drehung durch eine nahegelegene Tür schleuderte.
Sawai wurde sein Schüler und verbreitete später in Japan seine Essenz der Lehren Meister Wangs und nannte es "Taikiken". Berühmte holländische Kyakushinkai-Karatekämpfer wie Jon Bluming und Kotzebue gingen nach Japan um von Sawai Sensei Taikiken zu lernen.
In seinem Buch "Xing Yi Quan Xue" beschreibt der Altmeister Sun Lutang (1861-1933), ein Xingyi-Mitschüler von Wang Xiangzhai, seine erste Lehrzeit:
"Im ersten Jahr lernte er nur in der San ti-Stellung zu stehen. Es war ihm nicht erlaubt etwas anderes zu praktizieren. Nach sechs Monaten aber wurde sein Bauch und Hüfte voll (Qi) und seine Füße bekamen Wurzeln. Er begann aus dem Stehen innere Kraft zu entwickeln und er erkannte, daß dies wahres Gongfu ist."
Vor allem aber Wang Xiangzhai propagierte die Übung des Zhan Zhuang und entwickelte ein eigenständiges System, wie es im Rahmen des Yi Quan bzw. Dachengquan als Kampfkunst und als Zhan Zhuang weltweit unterrichtet wird. Im Westen veröffentlichte Lam Kam Chuen, ein Schüler eines Wang Xiangzhai-Schülers, ein Buch über das Zhan Zhuang als System. Der deutsche Titel ist "Energie und Lebenskraft durch CHI GONG".
So hielt das Zhan Zhuang-Stehen unmerksam Einzug in die Taji-Praxis. Die ITCCA ( der Verband von und um Chu Kinghung/ Frieder Anders) z.B. nennt das Geheimnis des "alten" Yang-Stils u.a. das spezielle Qigong des Yang-Stils, genannt chung ting. Dahinter verbirgt sich letztendlich das zhan zhuang in den einzelnen Positionen der Form - schlicht und ergreifend. Es ist wie es schon immer war: Stile und Künste beeinflussen sich wechselseitig und wir alle lernen voneinander. Yin und Yang stagnieren dort, wo man den Anspruch auf "Urheberrechte" hegt.